Hans Küng über die Reinkarnation

 

Zitat aus dem Buch Werden wir wiederkommen? von Norbert Bischofberger, Grünewald, Mainz / Kok Pharos, Kampen, 1995, S. 235-236:

 

Hans Küng lässt die Frage der Vereinbarkeit beider Positionen [Vereinbarkeit von Reinkarnationsglauben mit dem Christentum, oder nicht] offen. In seiner Schrift ‘Ewiges Leben?’ meint er zwar, dass eine denkerische Vermittlung zwischen der Vorstellung von einem einzigen irdischen Leben und derjenigen von mehreren Leben unmöglich und eine Entscheidung zwischen beiden unumgänglich scheine; er kommt jedoch zum Schluss: ‘Aber die Frage muss hier noch offen bleiben; denn die Alternative ist noch nicht deutlich geworden: Welche der beiden Erklärungen – hinsichtlich eines oder mehrerer Leben nach dem Tod – ist plausibler? Für traditionelle Christen ist die Wahl rasch getroffen, für andere vielleicht weniger.’ Küng nennt verschiedene religiöse und weltanschauliche Kontexte der Reinkarnationsidee, führt dann aber Argumente pro und kontra ‘Reinkarnation’ im Allgemeinen an. Er folgert, dass ‘sehr gewichtige Gründe’ gegen die Reinkarnation sprechen. Küng fragt aber auch: ‘Wird die christliche Fegefeuer-Lehre nicht durch einen ähnlichen Gedanken an ein zweites Leben bestimmt, dem dann gewissermaßen ein drittes folgt (,ewiges Leben’), wenngleich diese ,Leben’ in überirdischen Regionen angesiedelt sind?’ In seinem späteren Werk ‘Christentum und Weltreligionen’ nimmt er in der Auseinandersetzung mit der hinduistischen Reinkarnationslehre eine offenere Position ein. Zwar bleibt es bei der deutlichen Differenz zwischen dem Glauben an ein einziges Leben und der Vorstellung von mehreren Erdenleben und den gewichtigen Gründen gegen die Reinkarnationsidee. Küng stellt jedoch explizit die Frage, ob die Reinkarnationslehre nicht in den christlichen Kontext integriert werden könnte. Dabei denkt er an andere Vorstellungen, die vom christlichen Glauben im Laufe der Geschichte etwa aus dem griechisch-hellenistischen Kontext übernommen wurden. Küng erklärt, dass eine Integration neuer Lehren in die christliche Tradition keinesfalls ausgeschlossen werden dürfe. … ‘Wegen der verschiedener anthropologischen Voraussetzungen bräuchte zwischen Christentum und Hinduismus nicht notwendig Streit herrschen’.”

  

DS: Reinkarnation: ein unüberbrückbarer Widerspruch zwischen christlichem und asiatischem Glauben?

Küng: Ganz grundsätzlich gehe ich davon aus, dass die Glaubensauffassungen im Allgemeinen höchst verschieden sind. Das betrifft vor allem den gewaltigen Unterschied zwischen dem nahöstlich-semitischen Stromsystem und jenem indischen Ursprungs. In Indien ist es selbstverständlich, dass alles wiederkehrt. Das gilt für den Einzelnen wie für die Geschichte. Diese zyklische Wiederkehr ist in der indischen Welt ein Dogma, das niemand in Frage stellt. Das zu verbinden mit der progressiven Geschichtssicht der Bibel ist nicht möglich. Ich persönlich schätze es auch nicht, dass sich jemand einen persönlichen Cocktail mischt. Ganz nebenbei: Es ist auch nur eine westliche Vorstellung, dass die Wiederkehr meist glücklich sei.“

 

Es ist eine „westliche Vorstellung“ – bedeutet das, dass sie auch falsch sei? „Meist“ ist wohl übertrieben, aber die Wiederkehr kann auch glücklich sein. Das sagen die östlichen Lehren ebenfalls aus. Dass eine Reinkarnation in ein zumindest relativ glückliches Leben führen kann, ist eine empirische Erfahrungstatsache aus Rückerinnerungen, auch wenn es im neuen Leben jedoch oft darum geht, Lektionen zu bekommen, die nicht immer angenehm und manchmal sogar leidvoll sind.

Die zyklische Wiederkehr als eine Aufwärtsspirale der seelischen Entwicklung betrachtet ist mit der progressiven Geschichtssicht der Bibel doch noch vereinbar. Persönliche Cocktails ist eine Sache, ein sich stetig erhärtendes und an Indizien wachsendes empirisches Weltbild von immer mehr und ständig reproduzierbaren persönlichen Erfahrungen, worin sich doch noch beides zunehmend als vereinbar zu erweisen scheint, ist eine andere.

 

 

 

KOMMENTARE ZU ZWEI BÜCHERN

Es wird eine interessante Taktik verwendet. Zuerst wird kurz beschrieben, welche Vorzüge die Reinkarnationslehre hat, wozu sie gut ist und was für Probleme sie lösen könne, dann folgt eine Reihe von Gegenfragen, die dieses Postulat wieder abbauen sollen. Darunter sind Gegenfragen, die eigens für diesen Zweck konstruiert zu sein scheinen und deshalb zur Diskussion kaum etwas beitragen.

 

 

Aus: Hans Küng: Ewiges Leben?

Piper, München 6. Aufl. 1996, S. 83-96

Zitate mit Antworten und Kommentaren.

 

Es ist unbestreitbar, dass sich hinter der Reinkarnationslehre vor allem die religiös-historische Frage nach einer gerechten, moralischen Weltordnung verbirgt. …

Eine wahrhaft moralische Weltordnung setzt die Vorstellung eines Lebens vor dem jetzigen Leben notwendig voraus. Denn wie können Chanceungleichheiten unter Menschen, die verwirrende Verschiedenheit moralischer Anlagen und individueller Schicksale befriedigend erklärt werden, wenn man nicht annimmt, dass der Mensch im früheren Erdenleben durch seine guten oder bösen Taten sein jetziges Schicksal selbst verursacht hat? Andernfalls müsste ich alles dem blinden Zufall zuschreiben oder einem ungerechten Gott, der die Welt so werden ließ, wie sie nun einmal ist. Reinkarnation oder Wiedergeburt also zur Aufklärung des Menschen über sich selbst, seine Herkunft und Zukunft, und zur Rechtfertigung Gottes! Das Theodizeeproblem wäre gelöst …

So einleuchtend diese Position auf den ersten Blick scheint, so drängen sich doch Gegenfragen auf:

1. Kann mein jetziges Schicksal wirklich durch ein früheres Leben befriedigend erklärt werden? Auch dies müsste ja wieder durch ein noch früheres erklärt werden, sodass die Kette von Wiedergeburten in infinitum käme, was letztlich nichts erklärt …”

 

Antwort: So wie es bereits die gnostischen Christen lehrten, hatte alles einen Anfang in der Lichtwelt Gottes. Wir waren da schon erschaffen, aber als geistige Wesen ohne physische Körper. Diejenige von uns, die da heraus wollten und deshalb inkarnierten, hatten in einer ersten Inkarnation natürlich noch kein Karma. Da wir aber in Hinsicht auf Liebe und Einsicht noch unentwickelt waren, verfielen wir leicht der Versuchung, egoistisch zu handeln. Damit fing erst das individuelle Karma an.

 

2. Vorausgesetzt aber, man hält als Reinkarnationsgläubiger mit der jüdisch-christlichen-islamischen Tradition an einen Anfang durch Gottes Schöpfung fest [eben]: Wie ist dieser Uranfang zu denken, der noch ein zweites Leben erforderlich macht und doch nicht den Schöpfer dieses offenkundig missglückten Geschöpfes belasten soll? Ist also das Theodizeeproblem reinkarnatorisch wirklich gelöst?”

 

Antwort: Die gnostischen Christen lehrten auch, dass wir diesen Weg gehen wollten, weshalb unsere damalige Wahl Gott nicht belastet. Er hatte uns ja den freien Willen dazu gegeben. Dass wir dann als Konsequenz unserer Wahl aber auch die Folgen unserer Taten nicht entgehen können, sondern dies in Kauf nehmen müssen, bietet eine mögliche Lösung des Theodizeeproblems.

 

3. Wenn unsere moralischen Anlagen durch Wiedergeburt erklärt werden: Verfällt man dann nicht einem geschichtslosen Individualismus, der weithin übersieht, was uns ganz konkret nicht aus einem postulierten Vorausleben zukommt, sondern vermittelt wird durch biologische Erbe, die frühkindliche Formung unseres Bewusstseins und Unbewussten …?”

 

Antwort: Hier wird übersehen, dass Erbe und frühkindliche Umstände (in die wir hineingeboren wurden) gerade zu den (positiven oder negativen) Auswirkungen des Karmas gehören können. Deshalb ein solches Erbe, deshalb eine solche Kindheit…

 

4. Wenn im Allgemeinen ein radikales Vergessen des früheren Lebens angenommen werden muss, wird dann die Identität eines Menschen gewahrt, und hilft es mir tatsächlich zu wissen, dass ich schon einmal gelebt habe, wenn ich dieses Leben doch ganz und gar vergessen habe?”

 

Antwort: Küng vergisst leider, wie so viele, dass der Mensch ein unbewusstes Ich hat, wie es die Psychologie seit mehr als einem Jahrhundert klar gezeigt hat. Im unbewussten Ich wissen wir sehr wohl Bescheid, nur nicht im rationalen Verstand. Wenn uns das bewusst wird, was bereits in unbewussten Ich verborgen liegt, kann dies sehr hilfreich sein, um gewisse Probleme zu lösen und unser Leben besser zu verstehen. Die Identität des Menschen ist die Summe seiner Erfahrungen (heute unbewusst gewordene Erfahrungen mit eingeschlossen), nicht nur in diesem Leben.

 

5. Lässt es die Reinkarnationslehre nicht schließlich an Respekt fehlen vor dem Geheimnis der Gottheit, der man eine gerechte und barmherzige Zuteilung und Beurteilung von Schicksal und Leid nicht zutraut? Das harte Kausalitätsgesetz des Karman statt die Liebe Gottes, die in Gerechtigkeit und Barmherzigkeit gute wie böse Taten umgreift?”

 

Antwort: Die Reinkarnation ist doch ein Geheimnis Gottes, wodurch er Schicksal und wenn nötig Leid (als lehrreiche Erfahrung, nicht als Strafe) uns gerecht zukommen lässt. Seine Barmherzigkeit lässt uns Leben wiederholen, bis wir es „schaffen”, statt dass die Mehrheit von uns (denn so wie die Welt aussieht, wäre es zweifelsohne die Mehrheit…) in eine ewige Verdammnis gerieten, die Gottes Liebe wirklich infrage stellen würde? Damit lässt er böse Taten überwunden werden. Eine „gerechte und barmherzige Zuteilung von Schicksal und Leid” führt doch eben zum Theodizeeproblem, wenn für das Leid keine Ursache zu erkennen ist …

 

… Eine wahrhaft moralische Weltordnung setzt die Vorstellung eines Lebens nach diesem Leben notwendig voraus, denn wie soll es zu dem von so vielen Menschen mit recht erwarteten sühnenden Ausgleich der Taten (man denke an die Mörder und ihre Opfer!) wie auch zur Entwicklung der notwendigen ethischen Vollkommenheit im Leben eines Menschen kommen, wenn ihm nicht die Gelegenheit zu einem weiteren Leben gegeben wird?…

Aber auch hier stellen sich Gegenfragen …:

1. Verkennt die Forderung nach einem sühnenden Ausgleich in einem anderen geschichtlichen Leben nicht den Ernst der Geschichte, die nun einmal in ihrer Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit liegt, so dass alles, was einmal versäumt wurde, nie wiederkehren kann?”

 

Antwort: Merkwürdige Gedanken… Es ist doch klar, dass das, was war, sich unter neuen Umständen genügend ähnlich wiederholen kann, und zwar so, dass dabei zumindest einige der gleichen Seelen wieder beisammen sind, vielleicht sogar mit getauschten Rollen, um letztendlich zur Versöhnung untereinander zu kommen. Das ist doch keine logische Gegenfrage…

 

2. Gibt es nicht Störungen der Weltordnung, die durch keine menschliche Tat je wieder rückgängig gemacht werden können … ?”

 

Antwort: Sicher gibt es das, aber es geht ja nicht um rückgängig zu machen, sondern um daraus für die Zukunft zu lernen! Entweder sind solche Störungen ohne menschliche Taten entstanden, aber um solche kann es ja hier nicht gehen, oder sie sind durch menschliche Taten entstanden, und aus den Folgen lernen dann die betroffenen Seelen, solches nicht zu wiederholen.

 

Gegenfrage 3 bezieht sich auf die buddhistische Auffassung von Seelenlosigkeit des Menschen, aber das gehört ja nicht hierher! Buddhismus in aller Ehre, aber mit ihr haben wir hier nicht zu tun und die Gegenfrage ist deshalb keine, sondern tanzt aus der Reihe.

 

Wenngleich eine Integration neuer Lehren in die christliche Tradition nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, so sind doch folgende Einwände ernsthaft zu überlegen: … dass die menschliche Seele (wenn sie nicht überhaupt nur anfangslose Emanation aus dem Göttlichen ist) als eine vom Leib unabhängige Substanz zu verstehen sei, die allen Untergang des menschlichen Lebens überdauere …”

 

Dies widerspricht ja nicht die Reinkarnationslehre, sondern eher im Gegenteil, wird aber von Küng im Zusammenhang mit dogmatischen Deutungen von Gegebenheiten im Neuen Testament herangezogen, die man nu wirklich auch anders deuten kann (erst recht in der altgriechischen Textversion, die uns unterschlagene mögliche Übersetzungsalternative bietet!) und es die gnostischen Christen auch getan haben.

 

… dass es – wie eine Seele nach dem Leib – auch eine Seele vor dem Leib gäbe. Sowohl die Annahme der Präexistenz wie die Postexistenz einer separaten, vom leiblichen Substrat unabhängigen Seelensubsztanz entspricht weder unseren Erfahrungen noch den Ergebnissen heutiger Medizin, Physiologie und Psychologie …”

 

Wie wenn jene materialistische und eher atheistische Schulwissenschaft in der Lage wäre, das Rätsel zu lösen, da sie eindeutige Erfahrungen wie z.B. Nahtoderlebnisse nicht gelten lassen will… Dass es überhaupt eine Seele und ein Weiterleben nach dem Tode (in welcher Form auch) gibt entspricht ja auch schon nicht solche Erfahrungen und Ergebnisse der heutigen Schulwissenschaft – erst recht nicht, dass es ein Gott gibt … Dies sieht ein bisschen wie ein Versuch aus, den Teufel mit Beelzebub” austreiben zu wollen …

 

… keiner der – zumeist von Kindern und aus Ländern des Reinkarnationsglaubens stammenden – Berichte über eine Erinnerung an ein (!) früheres Leben konnte verifiziert werden …”

 

Da widerspricht Küng entweder in taktischer Unwahrheit oder in Unwissenheit u.a. die umfassenden anerkannten Forschungsergebnisse des Ian Stevenson, die solches klar erwiesen haben, auch in Europa und Amerika.

 

Entweder: Alles Leben dreht sich unendlich im Kreis … Oder: die Geschichte zumindest des Menschen … ist ausgerichtet auf das, was schließlich die Erfüllung des Menschenlebens ausmacht … Nirwana … oder Eingehen in Gottes Himmel …”

 

Oder in einem gewissen Sinne beides: Das Leben dreht sich in einer Aufwärtsspirale, die in der göttlichen Welt endet.

 

Entweder hat der Mensch zur Reinigung … durch mehrere Erdenleben zu wandern … Oder aber des Menschen Schicksal entscheidet sich unwiderruflich in diesem Erdenleben …”

 

Wie könnte das Letztere gerecht sein? Wie wäre es mit Gottes Liebe vereinbar? Durch eine endliche Verirrung und Fehlentscheidung (in einem Leben, das fast immer weniger als 100 Jahre dauert) unwiderruflich in eine ewige Verdammnis zu geraten ist ja ein horribler Widerspruch zu Gottes Liebe und widerspricht jedem Gerechtigkeitsempfinden. Eine unendliche Bestrafung für eine endliche Verfehlung! Wie man es auch hin und her dreht, reimt dies mit keinem Gerechtigkeitsbegriff. So kann es einfach nicht sein! (Es sei denn, Gott ist ein ungerechter Despot, und das ist er nicht… denn wenn er es wäre, könnten wir ihn nicht als Gott anerkennen). Wir hätten hier sonst ein Theodizeeproblem höherer Größenordnung …

 

 

Aus: Hans Küng et al.: Christentum und Weltreligionen

Piper, München, 1984, S. 335-349

Zitate mit Antworten und Kommentaren

 

Ein einziges Leben oder mehrere Leben?

Christliche Theologen nehmen eine solche Frage gewöhnlich kaum ernst. Mehr als einmal leben, Re-Inkarnation ... oder Seelenwanderung ... das gilt als kurios und skurril, als Aberglauben schlechthin. Dabei übersieht man freilich zweierlei:

1. Nicht nur die Hindus, sondern ein großer Teil der Menschheit glaubt seit Jahrtausenden an Reinkarnation und Wiedergeburt ...”

 

Ja, sogar der größere Teil der Menschheit

 

„2. Auch im Europa und Amerika von heute gibt es ungezählte Menschen, die die indische Lehre von Reinkarnation durchaus überzeugend finden ...”

 

Nicht wirklich die „indische Lehre”, sondern eine westliche Form des Reinkarnationsglaubens, wie es sie bereits unter den gnostischen Frühchristen gab.

 

„... Wegen der verschiedenen anthropologischen Voraussetzungen bräuchte zwischen Christentum und Hinduismus nicht notwendig Streit herrschen. Denn was immer man im Einzelnen von der Konzeption des Jīva, der nach hinduistischer Auffassung ein feinstoffliches Aggregat von Wahrnehmungsbedingungen, das ‚Innere Instrument’ enthält, und von allen näher damit verbundenen Erklärungsmodellen denkt: Letztlich entscheiden sind solche Theoreme und Modelle nicht. Denn auch christliche Theologie hat seit der Antike ihre Rede von Geist und Leib, Seele und Körper mit unterschiedlichen, höchst komplexen psychologisch-anthropologischen Modellen verbunden ...”

 

„1. Nach hinduistischer wie christlicher Auffassung ist der Mensch von Gott ursprünglich gut geschaffen und mit Freiheit ausgestattet, die ihn gut, aber auch böse handeln lässt ... Wird durch den Verweis auf ein früheres Leben ... die Theodizeefrage nicht nur verschoben, statt gelöst? Wird Gott dadurch entlastet, dass man gegenwärtiges Übel des Menschen als Schuld aus früheren Leben erklärt? Warum von Anfang an eine Freiheit auch zum Bösen?”

 

Die Theodizeefrage wird nicht verschoben, sondern aus der Gesamtheit aller Leben – vergangene, das gegenwärtige und zukünftige – der Seele gelöst. Die Freiheit des Menschen entlastet Gott, da er nicht für das verantwortlich ist, wie der Mensch diese Freiheit gebraucht, denn das ist ja auch Teil seiner Freiheit. Würde die Freiheit nicht die Möglichkeit beinhalten, auch Böses zu tun, wäre sie eingeschränkt und unvollständig. Wenn aber der Mensch in seiner Seele aus den Folgen seiner Taten – gute Folgen guter und üble Folgen übler Taten – lernt, wird er seine Freiheit immer sinnvoller gebrauchen.

 

„2. Gibt der Reinkarnationsglaube den Menschen ... durch Verweis auf die Gesamtheit vieler möglicher Leben nicht wenigstens die gleichen Chancen? ... Kann es nicht eine Gleichheit der Menschen vor Gott geben, die ... durch Gottes barmherzige Gerechtigkeit hergestellt wird, welche gute wie böse Taten umgreift? Gottes definitive Gerechtigkeit also nicht durch ungezählte zeitliche, sondern durch ein ewiges Leben?”

 

Und wenn es beides gibt? Übrigens ist unser Leben auch nach dem Reinkarnationsmodell ebenso ewig, es spielt sich nur in verschiedenen Verkörperungen ab, bis man das Reinkarnieren überwunden hat. So kann ja gerade die Reinkarnation als eine Form von Gottes barmherziger Gerechtigkeit aufgefasst werden.

 

„3. Die Karman- und Wiedergeburtslehre könnte erklären, warum die moralischen Anlagen, die Erbanlagen und Umweltbedingungen der verschiedenen Menschen so verschieden seien und doch die Gerechtigkeit Gottes nicht in Frage stellen. Doch verfällt solcher Glaube nicht einem geschichtslosen Individualismus [weiter ungefähr wie oben, Gegenfrage 3].”

 

Siehe Antwort oben zur Gegenfrage 3, Kommentare zum Buch Ewiges Leben?.

 

„4. Im Rahmen der Wiedergeburtslehre brauche man keinen Gott als Richter zu fürchten, hörten wir. Aber der Hinduismus kennt – auf seine Weise – Gericht ... sofern er an das Karma-Gesetz glaubt ...”

 

Küng will hier im Karma-Gesetz einen Richter sehen. Eigentlich bedeutet dieses Gesetz aber, dass der Mensch über sich selbst richtet.

 

„Dies bedeutet nun seinerseits eine Rückfrage an jene Christen, die auch heute, unter Androhung der Ewigkeit (im wörtlichen Sinne) einer Höllenstrafe Menschen einschüchtern und ihnen Angst macht.”

 

... eben!

 

„Eine wahrhaftig moralische Weltordnung setzt auch die Vorstellung eines Lebens nach diesem Leben voraus [weiter ähnlich wie oben] ... Reinkarnation also zur angemessenen Vergeltung aller Werke ... ebenso wie zur sittlichen Läuterung des Menschen!

Und nur nebenbei gefragt: Wird die christliche Fegefeuerlehre nicht durch ähnliche Gedanken an ein zweites Leben bestimmt, dem dann gewissermaßen ein drittes (‚ewiges Leben’) folgt, wenngleich diese ‚Leben’ in überirdischen Regionen angesiedelt sind?

Auch hier sollten wir die Gegenargumente hören:

1. Verkennt die Forderung nach einem sühnenden Ausgleich ... deren Charakter gerade ihrer Einmaligkeit ... so dass alles, was einmal versäumt wurde, nie wiederkehren kann?  ...”

 

Diese Frage wurde bereits oben behandelt.

 

„2. Wenngleich der Hindu auf dem Weg zur Selbstvervollkommnung ... an einer positiven Neugestaltung der Welt und der individuellen Zukunft zu arbeiten vermag: Birgt der Verweis auf weitere Leben nicht doch stark die Gefahr der Vertröstung in sich, der Legitimierung und Stabilisierung des gesellschaftlichen Status quo, so dass weniger Anreiz zur Veränderung ... hier und heute besteht?”

 

Das mag in der Tat manchmal so aussehen, entspricht aber eher einem Missbrauch der Karmalehre. Wer sie richtig versteht, verhält sich nicht so.

 

„3. Gibt es nicht Störungen der Weltordnung, die durch keine Tat der Menschen je wieder rückgängig gemacht werden können …”

 

Auch diese Frage wurde bereits oben behandelt.

 

„4. Nach indischer Tradition gibt es die Möglichkeit, sich an frühere Leben zu erinnern. Heute versucht man, dies mit Hinweis auf das Unbewusste zu stützen, das ja schließlich auch nicht jederzeit dem wachen Bewusstsein zugänglich sei. Doch auch im Unbewussten darf nicht vorausgesetzt werden (ein früheres Leben), was erst zu beweisen ist ... Für behauptete Einzelfälle stellt sich das Problem der Verifikation.”

 

Auch das wurde – zum Teil – oben geklärt. Es handelt sich nicht um ein Voraussetzen, sondern um eine Arbeitshypothese, die als solche wissenschaftlich legitim ist.

 

„Eine Integration neuer Lehren in die christliche Tradition kann in der Tat auf keinen Fall von vornherein ausgeschlossen werden. Nur muss ich auch hier sachlich die Gegenargumente zu überlegen geben:

Vom christlichen Standpunkt aus wird man ... skeptisch gegenüberstehen: Dass die menschliche Seele als eine vom Leib unabhängige, von Leben zu leben wandernde feinstoffliche Substanz zu verstehen sei ... Und was das  Neue Testament betrifft: Es handelt sich bestenfalls um ... volkstümliche Vorstellungen, wie etwa der Wiederkehr des Propheten Elia. Aber diese meinen dann nicht etwa die Wiedergeburt ... sondern die Wiederkunft des zum Himmel entrückten Elia in seinem Leib.”

 

Der Auffassung von einem Seelenschlaf mit einer nachfolgenden Wiederauferstehung im wiederhergestellten Leib, wie er einmal war, stehen wohl selbstständig denkende Menschen noch mehr kritisch gegenüber ... Die Geschichte mit Elia ist eine reine Interpretationsfrage, jedoch wäre der Wiederkehr seines Körpers vom Himmel her eine echt fantastische Vorstellung … (theologischer Science-Fiction …). Johannes müsste ja dann als alter Mann geboren worden sein (oder er wäre gar nicht geboren, sondern erschienen, was aber von der Bibel widersprochen würde) … Gewöhnlicher ist die Behauptung, dass Elia Johannes „überschattet” hätte. Wo wäre in dem Fall sein Körper? Man sah ihn nicht etwa über Johannes schweben …

 

Danach wiederholt Küng die Diskussion oben von einer Seele nach dem Leib und einer Seele vor dem Leib.

 

Geschichte zirkulär oder zielgerichtet?

Der Hindu glaubt ... an einen zyklischen Ablauf ... für das Individuum nicht endlos. Vielmehr hat es die Möglichkeit eines letzten definitive Austritts aus dem Kreislauf ... Die Alternative zum zyklischen Denken ist somit die jüdisch-christlich-islamische Auffassung von der Geschichte als einem sinnvollen, zusammenhängenden, weiterführenden, zielgerichteten Geschehen, das von Gott selbst vollendet wird.”

 

Wie bereits oben besprochen, verreinigen sich gewissermaßen beide Anschauungen im Bild von einer Aufwärtsspirale.

 

„1. Christliche Theologie hat das Leid nie verleugnet, sondern zum Testfall für Grundvertrauen und Gottvertrauen gemacht, der Menschen zu Entscheidungen herausfordert.”

 

Leichtes Theoretisieren von Menschen, die selbst von Leid verschont sind …

 

„2. Angesichts der überwältigenden Realität des Leides ... hat christliche Theologie ... dem leidenden, zweifelnden und verzweifelten Menschen eine alternative Hoffnungsfigur entgegengehalten ... dass dem Menschen über dem dunklen Abgrund des Leidens und des Bösen eine Hand ausgestreckt wird ...”

 

... die den Menschen ins nächste Leben führt …

 

„3. ... Ein neues Gottesbild, eine qualitativ andere Gotteserfahrung ist hier zutage getreten, die der Frage nach dem Leid noch einmal eine andere theologische Tiefenschärfe verschafft.”

 

Wenn es so wohl wäre, dass man sich dann ernsthaft mit der Frage befassen und endlich eine Lösung des Theodizeeproblems erstreben würde, statt sie ausweichend eher unter den Teppich zu kehren und sich diffusen Theorien der von Leid Verschonten hingeben.