Ich habe euch noch vieles
zu sagen ... Jesus sagte: «Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es
sei denn, dass jemand von Neuem geboren werde, kann er das Reich Gottes nicht
sehen». Nikodemus fragte ihn: «Wie kann ein Mensch
geboren werden, wenn er alt ist? Kann er auch wiederum in seiner Mutter Leib
gehen und geboren werden?» (Joh 3,3-4, vgl. Joh 3,7). Nikodemus verstand also
nicht, dass es eine neue Mutter sein müsste. In modernen Bibeltexten werden
diese Worte Jesu
wie folgt übersetzt: «… Es sei denn, dass jemand von oben her geboren werde
…», was
die Theologie wie folgt erklären will. Das griechische Wort anothen ist
zweideutig und bedeutet beides. Jesus soll «von oben her» gemeint und Nikodemus
ihn als «von Neuem» missverstanden haben. Das ist ein offensichtlicher Unsinn, weil
sie nicht Griechisch sprachen! Sie sprachen Aramäisch! Die
aramäische Sprache hat kein doppeldeutiges Wort, das hier passen würde, aber
ein eindeutiges Wort mille’ela, das «von oben her» bedeutet, und ein ebenfalls eindeutiges Wort tanejanut,
das «wieder, noch einmal, von neuem» bedeutet. Von einem Missverständnis kann
also keine Rede sein und Nikodemus’ Antwort weist darauf hin, dass Jesus das
letztere Wort verwendet hat.
Vgl. Rudolf Schnackenburg zu Joh. 3,3:
«Im Aramäischen gibt es keine
Vokabel, die wie im Griechischen beide Bedeutungen zuließe ...» [1]. Man mag auch fragen, was wohl «von oben her
geboren» bedeuten soll. Sind etwa einige von uns «von unten her» geboren?
Vielleicht sogar einige hohen Kirchenleute …? Jesus sagt dann: «... Wenn nicht jemand aus Wasser
und Geist geboren wird, so kann er nicht in Gottes Reich kommen» (Joh.
3,5). Viele Theologen halten hier «aus Wasser» für eine spätere
Einfügung, weil diese Worte in mehreren alten Manuskripten fehlen. Bleibt also
mit Sicherheit nur «aus Geist», womit nicht bestritten wird,
dass es sich hier um eine Seele oder einen Geist handeln könnte, der zum
Geborenwerden (wieder) in einen Körper hinein geht. Die übliche Deutung vom an dieser Stelle
unsicheren Wort «Wasser» bezieht sich auf die Taufe. Man müsse auch getauft werden, bevor man in
den Himmel kommen kann. Dies muss an dieser Stelle als zweifelhaft erscheinen,
da zu jener Zeit die Taufe noch nicht ein christliches Sakrament war. Erst
später in der Bibel – abgesehen nur von Jesu eigener Taufe durch Johannes
– erfahren wir, dass die Jünger zu taufen angefangen hatten (aber nicht
Jesus selbst) (Joh 4,1-2) und erst bei der Wiedererscheinung gab er den
Jüngern den Auftrag, alle im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen
Geistes zu taufen (Matth 28,19). Mit dem Letzteren muss nicht unbedingt eine
Taufe mit Wasser gemeint sein. So sagt doch Johannes der Täufer selbst: «Ich
taufe euch mit Wasser ... Der aber nach mir kommt ... Der wird euch mit dem
Heiligen Geist und mit Feuer taufen» (Matth 3,11, Mark 1,8, Luk
3,16, Joh 1,26). Der Taufauftrag in Matth 28,19 wird allerdings
von manchen theologischen Forschern als eine nachträgliche Fälschung gesehen.
Das griechische Wort für «Taufe», báptisma, ist
eine erst im Neuen Testament auftauchende Abwandlung des Wortes bápto,
das «eintauchen» bedeutet. Ein «Eintauchen in den Heiligen Geist»
und eine Handvoll Wasser auf den Kopf schütten können eigentlich recht
unterschiedliche Dinge sein … Allerdings könnte man auch «Wasser» als
Hinweis auf den physischen Teil, auf den Körper mit seinem Blut und «Lebenswasser», seine durch die Seele
bedingte Lebendigkeit sehen – und nicht nur auf die
Taufe – sowie «Geist» auf den seelischen Teil, und damit die Worte als «mit Körper und Seele
geboren werden» verstehen
… Sofern Jesus hier auch wirklich dieses Wort verwendet hat
(s.o.). Kirkegaard [2] weist darauf hin, dass das
aramäische Wort für «Wasser» auch «Samen» bedeuten könne. Hierdurch kämen wir
auch, wenn möglicherweise ein wenig weiter hergeholt, zum gleichen Ergebnis:
Der durch den Samen gezeugte Körper mit seiner Seele (seinem Geist). Ein wenig später im Text folgt eine merkwürdige
Äußerung: «Der Wind bläset, wo er will, und du hörest sein Sausen wohl; aber du
weißt nicht, von wannen er kommt und wohin er fähret. Also ist ein jeglicher,
der aus dem Geist geboren ist» (Joh 3,8). Wer kann das verstehen? Das
griechische Wort pneuma wurde hier zweierlei übersetzt, erst als «Wind»,
dann als «Geist». Griechische Wörterbücher erklären uns, dass die Übersetzung
als «Geist» nur im «übertragenen Sinn» gilt. Die übliche Bedeutung in
theologischen Zusammenhängen ist aber «Lebenshauch» oder «Seele», das, was den
Körper lebendig macht. Außerdem ist das Wort phoné nicht gut mit
«Sausen» übersetzt, sonder es bedeutet eher «Stimme». Somit kommen wir zur
folgenden Übersetzung, die sprachlich richtig ist: «Die Seele geht, wie sie
will, und du hörst wohl ihr Flüstern; aber du weißt nicht, woher sie kommt, noch
wohin sie geht. So ist es mit jedem, der mit einer Seele geboren ist». Hier
spricht demnach Jesus über die Vorexistenz der Seele, denn sie kommt ja von
irgendwo her, wo sie vor der Empfängnis war. Vorexistenz bedeutet nicht
automatisch Reinkarnation, aber Reinkarnation setzt Vorexistenz voraus. Diese Beispiele zeigen, wie Übersetzungen oft nach
dogmatischen Vorgaben gemacht werden, welche das Verständnis in eine gewünschte
Richtung steuern sollen, wodurch verdunkelt wird, dass man es auch anders
verstehen kann – aber das sollten wir nicht wissen. Diese entscheidend
wichtige Stelle widerspricht eine manchmal erhobene Behauptung, dass Jesus von
einer Wiedergeburt in diesem Leben gesprochen und dass Nikodemus ihn in
diesem Sinne hätte verstehen sollen. Offensichtlich verstand Nikodemus gar
nicht, was Jesus meinte, weil ihm gesagt wurde: «Bist du ein Meister in
Israel und weißt das nicht?»
(Joh 3,10). Was hätte er wissen sollen? Das steht nicht. Ist es vielleicht die
Reinkarnation, von der er hätte wissen sollen? Das wäre vielleicht hier ein
wenig weit hergeholt, aber er hätte wohl doch von der Vorexistenz der Seele
wissen sollen … War Johannes der Täufer Elias? Über Johannes sagte Jesus:
«Und so ihr es wollt annehmen: Er ist Elias, der da soll zukünftig
sein» (Matth 11,14). «Und seine Jünger fragten ihn und
sprachen: ‹Wieso sagen denn die Schriftgelehrten, Elias müsse zuvor
kommen?› Jesus antwortete und sprach zu ihnen: ‹Ja, Elias soll zuvor
kommen und alles zurecht bringen; doch ich sage euch, dass Elias
schon gekommen ist …› Da verstanden die Jünger, dass er von Johannes dem
Täufer zu ihnen gesprochen hatte» (Matth 17,10-13). Dieses
viel diskutierte Bibelzitat kann nun einmal wörtlich so
verstanden werden, dass Johannes die Reinkarnation von Elias wäre. Zur Widerlegung
zieht man oft ein anderes Zitat heran: «Und
sie fragten ihn [Johannes]: ‹Was
dann? Bist du Elias?› Er sprach: ‹Ich bin es nicht› ...» (Joh l
,21). Wenn aber nun Jesus sagt, dass er
tatsächlich Elias sei, sollen wir dann nicht eher Jesus als Johannes
glauben? Johannes hat ja in jedem
Fall mit seiner Antwort recht. Er ist, als er
befragt wird, tatsächlich nicht Elias, sondern Johannes.
Doch das schließt nicht aus, dass er einmal Elias war. Vielleicht
wusste er selbst, was Jesus von ihm wusste, und antwortete
deshalb bewusst in diesem Sinne. Vielleicht wusste er es aber ebenso
wenig, wie wir wissen, wer wir in einem früheren Leben waren, und antwortete
dementsprechend. Schon die Tatsache, dass man Johannes diese Frage stellt, zeigt, dass Menschen es für möglich hielten, dass er eine Reinkarnation von
Elias war! Die Theologie weist in
diesem Zusammenhang immer wieder auf den Bibelbericht hin, nachdem Elias nicht wie wir
andere gestorben, sondern mitsamt dem
Körper in den Himmel aufgestiegen sei
(2ön 2,11, in einer anderen Zählung 4Kön 2,11). Also könne er
sich nicht in einen neuen Körper inkarnieren,
sondern sein Geist habe Johannes nur «überschattet». Ist der Himmel eine physische
Welt, in der wir
wie auf dieser Erde physische Körper haben? So scheint sich
kaum jemand, den Himmel vorzustellen. Somit wird sich der Körper des Elias in
einen «himmlischen Körper» (wie Paulus sagt) gewandelt haben müssen. Die
Möglichkeit einer Inkarnation in einem neuen irdischen Körper wäre damit nicht
widersprochen. Und wenn Elias Johannes
«überschattet» hätte, wo war dann sein Körper? Wenn er im Himmel blieb, konnte
Elias’ Seele sich also doch vom Körper trennen und
vielleicht sogar inkarnieren. Sonst hätte man wohl seinen Körper über Johannes
schweben sehen müssen … Hier bleibt die Theologie uns eine Erklärung
schuldig … Ein weiterer Versuch eines
Einwands ist, dass Elias mit Moses vor Jesus und den Jüngern auf einem Berg erschien (Matth
17,3, Mark 9,3). Darin liegt aber auch kein Widerspruch,
da zu diesem Zeitpunkt Johannes bereits tot war. Elias war also – in der reinkarnationistischen Deutung – nicht mehr im Körper des Johannes und hätte sich ohne
Weiteres in seiner früheren Gestalt
gezeigt haben können! Einer der bekanntesten
Schriftsteller der schwedischen Literaturgeschichte ist Viktor Rydberg. Er
verfasste eine umfassende Abhandlung: Die Lehre der Bibel von Christus,
die nur in Schwedisch und Dänisch erschien, deren schwedische
Ausgabe aber ab 1862 in fünf jeweils überarbeiteten Auflagen und dann
in mehreren
Neudrucken herausgegeben wurde [3]. Der gelehrte
und belesene Verfasser weist hierin auf wichtige Diskrepanzen zwischen dem Dogma und dem Neuen
Testament hin. In einem größeren
Anhang: Über die Vorausexistenz des Menschen weist er mit Referenzen zur
rabbinischen Literatur deutlich
Folgendes nach: Es war im damaligen Judentum eine allgemeine Auffassung, dass Elias durch ein «zweites
Kommen im Fleische» dem Messias den
Weg bereiten und ihn salben solle, und
das Letztere ist doch, was Johannes tat! Die Bibel sagt auch über Johannes den Täufer, dass er die Stimme
sei, die sagt «Bereitet dem Herrn
den Weg» (Matth 3,3, Joh 1,23). Die meisten
Juden wussten aber nicht, dass Elias in der Gestalt von Johannes schon gekommen war, und das ist nach Justinus
dem Märtyrer einer der Gründe,
weshalb sie in Jesus nicht den erwarteten
Messias sehen wollten. Hatte Johannes der Täufer ein Karma? Johannes wurde geköpft. Hatte dieses Schicksal eine karmische Ursache? Die
Bibel berichtet, dass Elias die Propheten Baals am Bach Kishon eigenhändig
tötete (1Könige 18,40). Elias hat also gemordet! Sollte er als Johannes
deshalb erleben, geköpft zu werden? Der
Blindgeborene - eine Reinkarnation? Jesus heilte einen Mann, der
von Geburt aus blind war. Die Jünger stellten ihm dann die Frage: «Meister,
wer hat gesündigt? Dieser oder seine Eltern, sodass er blind geboren wurde?»
(Joh 9,2).
Wer so fragt, denkt
zweifellos an eine Existenz der Seele vor der Geburt,
da seine Formulierung sonst keinen Sinn hätte. Um als Folge von
eigener Sünde blind geboren zu werden – die eine Alternative
in der Frage – müsste das Sündigen vor der Geburt
geschehen sein. Der Fragesteller hat sicher viel eher an eine Verkörperung vor
der Geburt als an eine körperlose Präexistenz
gedacht.
Wie reagiert
nun Jesus auf diese unmissverständliche Andeutung?
Er weist den Gedanken, der in der Frage so offenbar liegt, nicht
zurück (und verpasst damit eine gute Gelegenheit, würde er diesen
Gedanken bestreiten wollen). Statt dessen sagt er: «Es hat weder dieser
gesündigt, noch seine Eltern, sondern die Werke
Gottes sollen an ihm offenbar werden». (Joh 9,3).
Man hat wiederholt versucht, hierin eine Ablehnung des
Reinkarnationsgedankens durch Jesus hineinzudeuten, wozu aber die
Bibelstelle keinen logischen Halt bietet. Man kann hierbei höchstens so weit
kommen, dass in diesem besonderen Fall das Leid
nicht die Folge eines früheren Vergehens zu sein scheint. In Anlehnung an Siémons [4]
kann man
dies durchaus so verstehen, dass nicht gerade jener Blindgeborene – also die
Person, die da saß, eben jener beseelte
blinde Körper – gesündigt hätte, sondern derjenige, der jene Seele vorher in einer anderen Verkörperung
war. Wenn man es so sieht, war er (weltlich gesehen) damals
ein anderer als jener Blindgeborene,
aber mit der gleichen Seele belebt. Es wäre hier also ähnlich, wie mit der
Antwort oben des Johannes auf die Frage, ob er Elias sei. Es sieht demnach so aus, wie wenn Jesus vor der Frage auswich, da er sich
zu diesem Thema nicht öffentlich äußern wollte. Eine selten vorgelegte
«Erklärung» ist, dass der Blindgeborene bereits im Mutterleib hätte sündigen
können (z.B. durch «böse Gedanken»). Diese Behauptung ist einfach zu absurd, um
ernst genommen werden zu können.
Ich habe euch noch
vieles zu sagen ...
«Noch vieles habe ich euch zu
sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen»
(Joh 16,12). Was meinte Jesus damit? Es wäre wohl zu besserwisserisch zu meinen,
dass dazu die Reinkarnation unmöglich gehören könne ...
Jesus hat in keinem der Textzeugnisse über ihn
die Reinkarnation abgelehnt. Der Versuch, den Fall mit dem Blindgeborenen dahin
zu deuten, ist ein Kunstgriff und Wunschdenken (s.o.). Im Gegenteil gibt es, wie
bereits gezeigt, mehrere Aussagen von Jesus, die im Sinne der Reinkarnation
gedeutet werden können.
Referenzen: Rudolf Schnackenburg: Das Johannesevangelium, I. Teil, Herder,
Freiburg, 1972, S. 381. Karl
Aage Kirkegaard: Reinkarnation
er forenelig med
kristendom [«Reinkarnation ist
mit dem
Christentum vereinbar»], Sankt
Ansgars Forlag, Kopenhagen, 1999. Viktor
Rydberg: Bibelns
lära om
Kristus [«Die Lehre
der Bibel von Christus»],
12. Aufl.,
Bonniers,
Jean-Louis
Siémons: La Réincarnation.
Des preuves aux certitudes, Retz, Paris, 1982, S.
211.
Neue Gedanken zu alten Bibelstellen
Das Nikodemusgespräch
War Johannes der Täufer Elias?
Der Blindgeborene – eine Reinkarnation?
Das Nikodemusgespräch